Reinbek for Future oder Reinbek zurück in die 80er? (Teil 1)

Reinbeks Klimaschutzkonzept – ein guter Aufschlag, den man ernstnehmen muss!!

  „Eine Gesellschaft wächst über sich hinaus, wenn alte Menschen beginnen, Bäume zu pflanzen, in deren Schatten sie selbst nicht mehr sitzen werden.“ (Rabindranath Tagore)

Die Entscheidungen, die wir heute für unsere Stadt Reinbek treffen, haben nicht nur direkten Einfluss auf unsere eigene Lebenswirklichkeit, sondern vor allem auf die Zukunft und die Lebensqualität unserer Kinder.

Wir brauchen ein neues Verständnis für die Wirklichkeit, in der wir bereits heute leben, ein neues Verständnis unserer Umwelt, an der wir unser Handeln ausrichten müssen. Die wissenschaftlichen Fakten liegen dabei klar auf der Hand: Der aktuell im März 2022 erschienene IPCC Bericht[1] warnt, dass die 1.5 Grad Erderwärmung bereits im Jahr 2030 erreicht sein wird – 10 Jahre früher, als bisher angenommen. Die im IPCC Bericht zusammen getragene Faktenlage macht unmissverständlich klar: Der Klimawandel ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit, er findet jetzt statt und betrifft jeden Einzelnen. Dies bedeutet auch: Jeder kann mit seinen Entscheidungen vor Ort dazu beitragen, die Klimaerwärmung abzumildern und Reinbek auf diese veränderte Wirklichkeit vorzubereiten.

Es ist eben auch vor der eigenen Haustür nicht zu übersehen: Stürme, Starkregen und Hitzewellen treten immer häufiger und stärker auf. Das haben wir gerade wieder durch die Sturm- und Starkregenereignisse im Februar diesen Jahres erlebt, aber auch in den zurückliegenden Jahren, wir erinnern uns z.B. an die Bille-Hochwasser im Januar 2018 und September 2021. Reinbeks Gemeindewehrführer Reinbeks Oliver Selke berichtete dazu schon dem Umwelt- und Verkehrsausschuss unter dem Agendapunkt  „Katastrophenvorsorge und -schutz durch Extremwetterereignisse“  und wies dabei eindringlich auf die bestehende Problematik durch Starkregen, Sturm- und Hitzewellen hin.

Bille-Hochwasser

Wir müssen beginnen, unsere Stadt Reinbek in dieser sich rasch verändernden Realität und Lebensumwelt zu verstehen. Klimawandel ist kein Zeitgeist-Thema, der Klimawandel ist da und bleibt. Wie vorausschauend die Entscheidungen sind, die wir heute treffen, bestimmt, wie gut Reinbek auf die veränderte Umwelt vorbereitet ist.

In dieser neuen Wirklichkeit ist es unabdingbar, dass Bauprojekte immer unter dem Aspekt der Klimaverträglichkeit betrachtet werden. Nicht umsonst wurde 2011 die Klimaschutzklausel im Baugesetzbuch eingeführt, um die Belange des Klimaschutzes in den Planungsleitsätzen und bauleitplanerischen Grundsätzen zu verankern. Der neu gefasste § 1 V 2 BauGB bestimmt nunmehr, dass die Bauleitpläne dazu beitragen sollen, „eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern“.

Das von allen politischen Fraktionen in Reinbek 2017 verabschiedete Integrierte Reinbeker Klimaschutzkonzept² könnte als Grundlage dienen, um in Reinbek zu einer verantwortbaren klimaschonenden Siedlungsentwicklung zu kommen. Allen Maßnahmen voran steht die Verringerung der Flächeninanspruchnahme (S. 172):


Das Reinbeker Klimaschutzkonzept sieht dabei für eine „klimaschonende Siedlungsentwicklung“ vor, dass „Innenentwicklung Vorrang gegeben werden“ und die Flächeninanspruchnahme reduziert werden solle (S. 173), und spricht die Empfehlung aus, „die Untersuchung der Innenentwicklungspotenziale im Rahmen des Wohnbauflächenprogramms (Teile 3 und 4) zügig abzuschließen.“

Bevölkerungswachstum und Wohnungsbau in Reinbek

Verfolgt man aber das Thema Klimaschutz in Reinbeks Kommunalpolitik und Stadtverwaltung in den letzten Jahren, dann fragt man sich unwillkürlich, ob wir eigentlich immer noch im Jahr 1980 leben. Die Denk- und Handlungsweise vieler Kommunalpolitiker und bei Vertretern der Stadtverwaltung scheint nach wie vor in den Wachstums-Stereotypen des letzten Jahrhunderts festgefahren zu sein.

Trotz eindeutiger Faktenlage zum Klimawandel und wöchentlicher Demonstrationen im Zuge der Fridays for Future Bewegung wurde in Reinbek seit der Verabschiedung des Klimaschutzkonzeptes im Jahr 2017 kaum ein konkreter Fortschritt in Sachen Klimaschutz erzielt. Das Gegenteil ist der Fall. Von Investoren initiierte Großbauprojekte im Innen- und Außenbereich wurden realisiert oder sind in Planung und erfahren dabei eine breite Unterstützung durch Teile der Kommunalpolitik, aber auch unseres Bürgermeisters und von Vertretern in der Stadtverwaltung. Mantrahaft werden dabei immer wieder die Totschlagargumente „Wohnungsnot“ und „bezahlbarer Wohnraum“ bemüht.

Sofort wird reflexhaft nach noch mehr Neubausiedlungen im Außenbereich gerufen. Aufwendig erstellte Analysen, die sorgfältig das Für und Wider und die Folgen solcher Großbauprojekte untersuchen, werden ignoriert. Ein Dialog, ein konstruktiver Austausch von Argumenten findet nicht statt, es wird lieber an den eigenen stereotypen Denkmustern festgehalten.

Bürgerinneninitiativen, die sich mit guten Argumenten für den Erhalt und Schutz vorhandener Freiflächen und grünen Strukturen einsetzen, wird vorgeworfen, unsozial zu handeln und sich der Zukunft in den Weg zu stellen. Gleichzeitig werden die Argumente der Investoren kritiklos übernommen. Es wird dabei verschwiegen, dass

  • immer mehr geförderter Wohnraum in Reinbeks aus der Sozialbindung fällt und sich in der Stadtverwaltung nicht mit diesem Thema beschäftigt wird
  • die große Nachfrage nach Wohnraum in Reinbek nicht aus Reinbek selbst kommt, denn dort sterben mehr Menschen als geboren werden
  • jährlich Wohnraum frei wird
  • Reinbeks Bevölkerung seit dem Jahr 2000 im überregionalen Vergleich bereits überproportional wächst

Man muss sich also fragen: Wem außer den Investoren nutzt ein weiterer Bevölkerungsanstieg Reinbeks? Braucht Reinbek wirklich die Ausweisung neuer Baugebiete im Stile der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts? Ist es nicht vielmehr zeitgemäß, sorgfältig den  Gebäude- und Wohnungsbestand zu analysieren, den Leerstand und Sanierungsbedarf zu erfassen und so über eine neue Nutzung vorhandener Gebäude wirksam den CO2-Ausstoss und die Flächenversiegelung zu verringern?

[1] IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change. Climate Change 2022. Impacts, Adaptation and Vulnerability. Summary for Policymakers (March 2022) https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg2/downloads/report/IPCC_AR6_WGII_FinalDraft_FullReport.pdf